Entstehung Judo

Aus Jujuitsu wird Judo

Während des Feudalismus wurden in Japan eine Vielzahl verschiedener Kampfkünste praktiziert. Bei den meisten war die Verwendung von Lanzen, Schwertern, Dolchen und anderen Waffen üblich. Die Meister (Lehrer) dieser Kampfkünste waren Mitglieder der Samurai (eine Kriegerkaste). Die Samurai hatten im Tokugawa–Shogunat einen Beamtenstatus.
In dieser Zeit (1603–1886) entwickelte sich das Jujuitsu zu einer komplexen Kampfkunst mit einer Vielzahl von Stilrichtungen. Jeder Meister hatte seine Dojo, und die Schüler eines Meister waren ihm zur Treue verpflichtet, d.h. sie durften die Stile der anderen Meister nicht erlernen. Am Ende des Tokugawa–Shogunat gab es etwa700 Jujuitsu–Schulen, die eigentlich mit dem Verbot des Tragens von Waffen (1872) und der Auflösung der Samurai–Kaste (1877) geschlossen werden sollten. Viele der Samurai konnten sich damit nicht abfinden, und besonders die Leiter dieser Schulen arbeiteten zunächst im ”Untergrund“ weiter.Während der Zeit des Umbruchs besann sich das Volk auf seine Traditionen und die Jujuitsu Schulen bekamen mehr und mehr Zulauf. Dies hatte zur Folge, das auch Scharlatane als Jujuitsu–Meister (die nicht den Ehrenkodex der Samurai einhielten) auftraten, zum anderen ergab sich ein erbitterter Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Schulen. Nach der Meji–Revolution siedelte Kanos Familie 1871 nach Tokyo um. Kano besuchte dort die Kaiserliche Universität. Während der Studienzeit begann Kano über die Möglichkeit nachzudenken, wie die Harmonie von Körper und Geist zu erreichen wäre. Erst im Alter von 18 Jahren begann Kano mit dem Studium des Jujuitsu bei dem Meister Yagi Teinsuke.
Im Verlauf der nächsten Jahre studierte er Jujuitsu bei verschiedenen Meistern, darunter auch Fukuda Hachinosuke und Iso Masatomo oder Ikubo Tsunetoshi. Er lernte dabei die verschiedenen Stile und Schwerpunkte der verschiedenen Meister kennen. Die einzelnen Jujuitsu–Meister akzeptierten nur ihre eigene Meinung und verklärten die einzelnen Techniken mit blumigen Namen. Dadurch das Kano bei verschiedenen Meistern lernte, bemerkte er insbesondere die Unterschiede der verschiedenen Jujuitsu–Stilrichtungen. Kano musste oft Entscheiden, welche Technik ”richtig“ ist, da die Meister widersprüchliche Ansichten hatten. Um diesem Dilemma zu entrinnen, versuchte Kano das grundlegende Prinzip des Jujuitsu zu entdecken. Er wollte eine Prinzip finden, das sowohl bei den Wurftechniken als auch den Schlagtechniken gilt. Als allen Techniken zu Grunde liegendes Prinzip formulierte Kano: ” den effizientesten Gebrauch der physischen und psychischen Energie“. Kano untersuchte alle ihm bekannten Jujuitsu– Techniken auf Einhaltung dieses Prinzips. Die Techniken, die nicht diesem Prinzip gehorchten verwarf er und ersetzte sie durch Techniken die ihm entsprachen. Die Gesamtheit der Techniken die dem Prinzip des effizientesten Gebrauches der physischen und psychischen Energie gehorchten fasste Kano unter dem Begriff Judo zusammen und lehrte sie am Kodokan.
Der Begriff Judo ist keine Erfindung von Kano, er wurde bereits in der Tokgawa–Epoche bezeichnete eine der der vielen Jujuitsu–Schulen ihren Stil mit dem Begriff Judo. Kano wählte den Begriff Judo um diesen Stil von dem klassischen Jujuitsu zu unterscheiden. Dieses Grundprinzip erläutert Kano mit folgendem Beispiel: Angenommen ein Mann mit der Stärke 10 steht vor mir, meine eigene Stärke hat den Wert 7. Wenn er mich so kräftig wie er kann stößt werde ich umfallen, egal wie stark ich dagegenhalte. Das ist das Gegenteil: Kraft gegen Kraft. Gebe ich ich den Weg (Platz) seinen Schlag auszuführen (weiche also aus), so wird er das Gleichgewicht verlieren während ich mein Gleichgewicht behalte. Geschwächt durch den Verlust den Gleichgewichts wird mein Gegner nicht mit seiner ganzen Kraft Kämpfen können. Seine Stärke ist vielleicht auf 3 gefallen. Ich besitze immer noch eine Stärke von 7 und kann mich nun mit der Hälfte meiner Kraft verteidigen.
Kano schreibt dazu: Wenn ich natürlich mehr Kraft besäße als mein Gegner, dann könnte ich ihm einfach einen Schlag versetzen, doch selbst wenn ich dies gern tun würde und die dafür erforderliche Kraft besäße, wäre es doch besser, erst nachzugeben, da ich dadurch viel Energie sparen und den Gegner ermüden kann. Mit diesem Beispiel zeigt Kano einen wichtigen Bestandteil des Judos auf, welcher direkt aus dem Prinzip des effizientesten Gebrauches der physischen und psychischen Energie folgt: Das Brechen des Gleichgewichtes des Partners (Ku-zushi). In einem weitern Beispiel folgert Kano, einen weiteren Grundsatz des Judos aus dem Prinzip des effizientesten Gebrauches der physischen und psychischen Energie: Den Gebrauch von Hebeln. Greift ein leicht nach vorne gebeugter Gegner an (versucht einen nach hinten umzustoßen), so reicht es, mit einer Hand seinen Ärmel zu fassen, und mit der andren die Schulter zu fixieren, um in zu werfen (Schwertwurf). Um einen Gegner zu werfen, ist also manchmal das Prinzip des Hebels wichtiger, als das des Nachgebens. Jujutsu beinhaltet auch die Methoden des direkten Angriffs, wie schlagen, treten oder würgen. Wird dies berücksichtigt, so vermittelt die Bedeutung ”Kunst des Nachgebens“ nicht die wahre Bedeutung des Jujutsu. Kano sagt hierzu:
Wenn wir Jujutsu als die Kunst oder die ¨Übung der effizientesten Nutzung der psychischen und physischen Energie akzeptieren, können wir Judo als den Weg, das Prinzip dies zu Tun auffassen. Dies entspricht der wahren Definition. Von den Vertretern des klassischen Jujutsu wurde Kanos Kodokan immer wieder als Intellektuellen–Schule angegriffen. Sie sprachen Kano jegliche Kompetenzen ab, und entfachten wahre Schlammschlachten in der Presse. Zudem provozierten Sie Zusammenstöße außerhalb der Dojo mit Kanos Schülern. Im Jahr 1886 versuchte die kaiserliche Polizeiverwaltung
Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Dazu ordnete Sie einen Entscheidungskampf zwischen den Schulen Kanos und der Totsuka Hikosuke (Kanos größtem Widersacher). Beide Schulen traten mit einer Mannschaft aus je 15 Kämpfern an. In 13 Kämpfen gewannen Kanos Schüler und zwei Kämpfe endeten unentschieden. Hätten die Schülers Kanos verloren, wäre das Kodokan (und damit Judo) sicher verboten worden, da die Polizeiverwaltung als Norm eine besonders effektive Schule auswählen wollte (und alle anderen verbieten). Der triumphierende Sieg des modernen Judos über das klassische Jujuitsu führte dazu, dass Judo sehr rasch bei der Polizei und Armee eingeführt wurde. Zudem wurde es in das Programm der Mittel– und Oberschulen aufgenommen.